Jedes Jahr im April liegt der Forggensee ohne Wasser vor den Toren Füssens. Na ja, ganz leer ist er nicht, aber doch ziemlich. Der Forggensee ist ein Stausee. Jeden Winter wird er nach und nach abgelassen, um die Versorgung der lechabwärts gelegenen Wasserkraftwerke zu sichern. Dieses Jahr hat man den Wasserpegel wegen irgendwelcher Wartungsarbeiten noch 5 Meter tiefer abgesenkt als sonst. Deswegen konnte man den größten Teil des Seegrundes begehen. Und da gab es jede Menge interessanter Dinge zu sehen.
Am Montagabend habe ich eineinhalb äußerst spannende Stunden unter der Führung von Magnus Peresson verbracht. Peresson ist der Vorsitzende des Historischen Vereins Alt Füssen e. V. und ein ebenso kundiger wie unterhaltsamer Begleiter.
So verlief unser Spaziergang durch den Forggensee ohne Wasser
Ausgangspunkt war das nördliche Seeufer beim „Toteisloch“ Dietringen
Toteislöcher gibt es im Allgäu viele, denn sie sind Überbleibsel aus der letzten Eiszeit. Sie sind entstanden, wo ein großer Eisklumpen noch längere Zeit liegenblieb, bevor er endgültig wegschmolz. Früher war dieses Loch bei Dietringen tatsächlich nur eine leere Senke, aber heute läuft es jeden Sommer voll, wenn der Wasserpegel des benachbarten Forggensees steigt.
Dann sind wir hinunter gestiegen in die „Mondlandschaft“ , die so seit 60 Jahren nicht mehr zu sehen war. Das hier ist die ehemalige Lechschlucht, die jahrhundertelang von Flößern befahren wurde, die Waren aus dem Allgäu nach Augsburg transportierten.
Durch das Aufstauen ist die Gewalt des Lechs nicht mehr spürbar, er wirkt hier eher träge als reißend – das ergibt schöne Spiegelungen im Wasser.
Wir waren sogar genau zur richtigen Zeit da, um noch das abendliche Alpenglühen einzufangen:
Die Legende vom heiligen Magnus und dem Drachen vom Tiefental
Zur Rechten konnten wir die alte Tiefenbachtalbrücke sehen, um die bzw. deren Vorgängerbau sich eine Legende rankt.
Sie handelt vom Heiligen Magnus, der als „Sankt Mang“ und Schutzpatron des Allgäus bekannt ist. Der Legende nach hauste im neunten Jahrhundert ein Drache in diesem Tal. Gegen ihn waren schon viele Ritter gezogen. Der Drache aber hatte ihre Rösser mit seinem „Pesthauch“ bewusstlos gemacht, woraufhin die Ritter davonliefen und die Pferde als lebendiger Vorrat im Tal des Drachen blieben. Ab und an verspeiste er eines und hing seinen abgeknabberten Kopf dann an einen Baum. Deswegen bekam die nahe gelegene Siedlung den Namen „Roßhaupten“.
Als nun Sankt Mang ins Allgäu kam, zog er, nur mit seinem Wanderstab, einer geweihten Kerze und seinem Glauben bewaffnet, hinunter ins Tiefenbachtal. Er besiegte den Drachen, indem er ihn mit der Kerze bewarf. Wenn man einen Blick in der Abenddämmerung in das Tiefenbachtal wirft, kann man sich sogar vorstellen, wie sich hier ein Drache heranschlängelt …
Und was war jetzt wirklich an dieser Brücke los?
Magnus Peresson hat uns den historischen Kern dieser Legende um seinen Namenspatron erzählt: Tatsächlich lief schon seit der Zeit der Römer eine Straße durch das Tal, nämlich die Via Claudia Augusta. Sie blieb nach dem Abzug der Römer noch jahrhundertelang in Benutzung. Allerdings war das Wissen um den Steinbau, in den Wirren der Völkerwanderungszeit verloren gegangen. Die ansässigen Räter bauten nur mit Holz.
So verfiel nach und nach die Brücke über den Tiefenbach. Die Reisenden waren auf der hölzernen Brücke durch die besonders im Frühjahr nach der Schneeschmelze reißenden Fluten durchaus bedroht. Drachen stehen in christlichen Legenden als Symbol für die nicht beherrschbaren Naturgewalten. Magnus kam aus dem Kloster Sankt Gallen, war aber kein Priester, sondern ein Gelehrter, der alte lateinische Schriften des römischen Baumeisters Vitruvius studiert hatte. Seine Leistung bestand wohl darin, entweder die alte römische Steinbrücke zu renovieren oder eine neue zu errichten.
Römische Reste im Forggensee ohne Wasser
Die Reste der Via Claudia Augusta kann man heute noch sehen – hier als helles Band.
Leider wurde es nun schon dunkel. Auf der hier gerade noch erkennbaren Halbinsel befand sich zwischen 15 v. Chr. und 46 n. Chr. eine römische Zollstation, denn schon damals wurden hier Waren auf Flöße verladen. Man hat dort etliche Bleisiegel gefunden. Darauf stand, wer der Absender und wer der Empfänger war und welche Ware sich jeweils in einem Ballen oder Paket befand. Es sind einheimische (rätische) Namen, übrigens auch von Frauen, die vor allem Leinen nach Augsburg verschifften. Magnus Peresson hat selbst einige römische Münzen dort gefunden.
Inzwischen dürfte der Wasserpegel schon wieder gestiegen sein und in einigen Wochen ist der Forggensee wieder ein blauer Spiegel in der grünen Landschaft. Früher habe ich mich immer gefreut, wenn der See endlich wieder „schön“ war. Jetzt finde ich es fast schade, denn es hätte noch so viel zu entdecken gegeben. Zum Beispiel die Reste einer römischen Villa Rustica und die des ehemaligen Dorfes Forggen, das dem See, der es überflutet hat, seinen Namen gegeben hat. Nächstes Jahr bin ich auf jeden Fall wieder dabei, wenn der Forggensee ohne Wasser ist und Herr Peresson kundig über den Seegrund führt.
Nachtrag 2017: Diesen April habe ich es tatsächlich geschafft, wieder mit Magnus Peresson auf Entdeckungsreise auf dem Grund des Forggensees zu gehen. Tatsächlich haben wir die Reste eines römischen Badehauses gefunden, vor allem aber die Ruinen des gefluteten Dorfs Forggen.
Nachtrag 2018: Heuer wurde der Forggensee wegen Sanierungsarbeiten am Staudamm besonders tief und viel länger als sonst abgelassen. Bei meiner Visite auf dem Seegrund im fast leeren Forggensee 2018 sind faszinierende Bilder entstanden, die ihr euch unbedingt ansehen solltet.