Auf dem Grund des Forggensees kann man jedes Frühjahr spazieren gehen. Denn der Forggensee hat keinen natürlichen Ursprung, sondern wurde künstlich aufgestaut – flächenmäßig ist er der größte Stausee Deutschlands! Neben der Stromerzeugung dient er als Hochwasserrückhaltebecken und dazu, den Lech über den Sommer mit ausreichend Wasser für die folgenden Staustufen zu versorgen. Daher wird der See jeden Winter nach und nach abgelassen. Richtig voll ist er nur zwischen dem 1. Juni und dem 15. Oktober, wenn auch die Forggenseeschifffahrt in Betrieb ist.
Wer heute im Sommer ins südliche Ostallgäu reist, kann sich kaum vorstellen, dass König Ludwig II. von seinem Märchenschloss aus nicht auf einen blauschimmernden See, sondern auf eine grüne Auenlandschaft blickte. Darin lagen unter anderem die Weiler Forggen und Deutenhausen, dazwischen Wiesen, Heuschober und eine Mühle am Lauf eines mäandernden kleinen Baches.
1954 wurden bei Schwangau und Roßhaupten zwei Lech-Staustufen fertiggestellt und der Talgrund geflutet. Die Häuser und Höfe im Tal wurden abgetragen, die Bewohner mussten ausziehen, und das, obwohl einige sich heftig wehrten. Heute wissen viele Menschen nicht einmal mehr, dass der See seinen Namen einem versunkenen Weiler verdankt.
So idyllisch sieht der Forggensee heute im Sommer aus:

Ganz anders zeigt er sich im März:

Im Frühjahr kann man den Seegrund erkunden
Jedes Jahr im März und April, wenn der Wasserstand am niedrigsten ist, tauchen die Überreste der versunkenen Welt wieder auf. Ich finde es immer wieder faszinierend, im leeren See, oder genauer gesagt, auf dem Grund des Forggensees, auf Erkundung zu gehen. 2025 war ich wieder einmal dort und habe euch einige Fotos mitgebracht. Startpunkt war das Ufer bei Brunnen, neben dem (ausgetrockneten) Bootshafen. Wenn man von dort nordwärts geht, kann man gut die ehemalige Straße erkennen, die von Schwangau nach Forggen führte. Wer ihr folgt, findet auch bald die Reste der Häuser, die dort einst versanken.



Wenn man noch weiter nach Norden spaziert, gelangt man zum ehemaligen Deutenhausener Steinbruch. Sieht der nicht skurril aus?

Auf dem Rückweg folgen wir wieder der ehemaligen Straße, die in der früheren Aue mit Lechkieseln aufgeschüttet worden war.

Die Steine, die ihr rechts oben im Bild seht, gehören zu einem Haus, das noch viel älter ist als die von Forggen und Deutenhausen: Es stammt aus römischer Zeit. Darüber erfahrt ihr im nächsten Abschnitt mehr.

Mit Magnus Peresson auf Entdeckungsreise auf dem Grund des Forggensees
Der Füssener Architekt und Historiker Magnus Peresson bietet immer wieder Führungen über den Seegrund an, und zwar ganz offiziell im Auftrag der Gemeinde Schwangau. An einer solchen Führung habe ich im April 2017 teilgenommen. Eines vorweg: Wenn ihr jemals die Gelegenheit habt, mit Magnus Peresson auf Entdeckungsreise zu gehen, solltet ihr sie auf jeden Fall nutzen! Dieser Mann ist ein wandelndes Geschichts- und Geschichtenbuch, und seine Erzählungen sind so kurzweilig, dass die Zeit wie im Flug vergeht.
Gestartet sind wir beim Weiler Brunnen und von dort auf ein kleines Inselchen gestiegen, von dem aus man einen schönen Überblick hat. Hier erst mal nach Süden.
Das kleine Gewässer, das ihr hier seht, ist die Mühlberger Ach, die sich durch den Talgrund schlängelt, der die meiste Zeit des Jahres ein Seegrund ist. Ihr habt sie oben auf dem Titelfoto schon gesehen. Wir aber sind zunächst mit Herrn Peresson einem kleinen Seerest entlang nach Norden gefolgt.
Unser nächster Haltepunkt war dieser Stein. Er war einmal ein Eckstein eines Heuschobers. An der Seite erkennt man noch gut das Bohrloch, das im Steinbruch gebohrt und dann mit Wasser gefüllt worden war, damit der Frost den Stein sprengen konnte.
Weiter ging es Richtung Wasser. Die Ach mäandert hier gemütlich vor sich hin. Man kann gut sehen, wo sie etwas abträgt und wo sie es wieder anlagert.
Besonders beeindruckt hat mich, dass auch nach über 60 Jahren die Baumstümpfe noch aus dem Boden ragen. Sie klammern sich genauso hartnäckig am Boden fest, wie es die Überreste der menschlichen Behausungen tun.
Versunkene Heimstätten im Forggensee
Erstaunlich noch gut erhalten ist der Gewölbekeller der früheren kurfürstlichen Mühle.
Ringsum verstreut liegen die Reste einiger Häuser.
Hier war einmal die Küche eines Hauses – der Wasseranschluss zur Spüle hat dem Wasser des Sees standgehalten.
Auch einige Ziegelreste sind erhalten.
Es ist ein eigenartiges Gefühl, zwischen diesen Trümmern umherzugehen. Die Menschen, die dort einst gelebt haben, haben ihre Häuser schließlich nicht freiwillig verlassen. Ihre kleine Welt ist einfach untergegangen.
Gleich nebenan hat das Wasser die Reste eines Badehauses freigespült, das einst zu einer römischen Villa Rustica gehört hatte. Sie hatte vermutlich die Bewohner von Forggen zur Sage vom versunkenen Dorf inspiriert, die Magnus Peresson so erzählte, wie seine Großmutter sie ihm erzählt hatte. Sie musste es wissen, denn sie stammte ebenfalls aus Forggen.
Peresson hat hier schon Hohlziegel aus dem Hypocaustum gefunden, Rohglas und Münzen. Das versunkene Dorf ist ein archäologisches Schatzkästlein, das sich durch Wind und Regen immer wieder einmal öffnet.
Der Seegrund hat seine eigene Ästhetik
Trotz der traurigen Geschichten ist der Ort voller Schönheit. Von hier aus scheint Schloss Neuschwanstein zum Greifen nah zu sein.

Das Wasser zeichnet eigenwillige Strukturen in den hier lehmigen Boden, die eine geradezu meditative Stimmung erzeugen.


Es ist Zeit, sich auf den Heimweg zu machen …
Dabei wäre weiter östlich auf dem Grund des Forggensees noch ein früheres Moor mit gespenstisch weißen Baumstümpfen zu entdecken, dazu noch die Reste der Römerstraße. Die alte Tiefentalbrücke wartet im Norden; dort waren wir vor drei Jahren schon einmal abends mit Herrn Peresson unterwegs (hier geht’s zum Post Mondlandschaft mit Tiefgang).
Noch mehr zu sehen gab es übrigens im Sommer 2018, als der Forggensee wegen der Staudammsanierung besonders tief abgelassen werden musste. Meine beinahe surrealen Impressionen vom leeren Forggensee 2018 habe ich natürlich auch ausführlich fotografisch festgehalten.
Liebe Barbara,
das war ein toller Bericht und vor allem tolle Fotos. Ich gehe heute Abend auch mit auf Magnus Peressons Führung. Ich schreibe auch für die Füssener Heimatzeitung. Wäre es möglich evtl. das eine oder andere Foto verwenden zu dürfen mit Quellenhinweis auf dich. Ich weiß nicht, ob ich sooo schöne Fotos hinbekomme wie du.
Liebe Grüße
Monika
Liebe Monika, es freut mich, wenn Dir der Bericht gefällt. Klar kannst Du Bilder von mir haben, wenn Du mich als Fotografin angibst. Schreib mir einfach eine E-Mail und gib an, welche Bilder Du haben möchtest. Viel Spaß mit Herrn Peresson – er macht das wirklich toll!
Das war wirklich ein tolles Erlebnis und nächstes Jahr komme ich auch wieder mit.
Ja, und nächstes Jahr sehen wir uns noch das versunkene Moor mit den gebleichten Bäumen an und suchen nach den sonstigen Resten der Villa Rustica …