Seit 1995 wohne ich nun schon bei Obergünzburg, seit 2012 blogge ich, aber noch nie habe ich einen eigenen Blogpost über meinen Heimat-Marktflecken geschrieben. Komisch eigentlich. Jedenfalls bin ich nun endlich einmal mit der Kamera losgezogen, um „mein“ Obergünzburg zu portraitieren und seine liebenswerten Details festzuhalten.
Detailansichten aus Obergünzburg
Wie sich das für einen Allgäuer Marktflecken gehört, ist die Kirche das prägende Element im Zentrum. Es ist ein besonders schönes Exemplar einer ehemals gotischen Wehrkirche, die im Innenraum sehr gelungen barockisiert wurde. Aber wir sehen sie uns nur von außen an.
Ein Detail, das man erst auf den zweiten Blick wahrnimmt, findet sich nämlich an der Außenwand des Chorraumes.
Hier steht nämlich die Replik eines römischen Altarsteins, der dem Gott Merkur geweiht war und an dieser Stelle gefunden wurde. Das ist nicht so überraschend: Merkur war der Gott der Reisenden (sowie der Kaufleute und der Diebe), der auch entlang der römischen Straßen verehrt wurde. Die heutige Kirche St. Martin wurde quer über die frühere Römerstraße gebaut und zwar offensichtlich an einer Stelle, die schon vor vielen Jahrhunderten einen sakralen Charakter hatte.
So sieht die Kirche übrigens an der gegenüberliegenden Westseite aus:
Hier findet sich ganz einsam an der Wand eine Figur des Kirchenpatrons, der etwas ermattet gen Sonnenuntergang blickt.
Oben im Titelfoto habt ihr schon den Brunnen gesehen, der vor dem so genannten Verkündhaus an der Kirche steht. Die Brunnenfigur ist ein Mohr, der ein Wappenschild trägt. Das von den Einheimischen liebevoll „Mohrenbüble“ genannte Knäblein verdankt seine Existenz allerdings einer Fehlinterpretation des Obergünzburger Wappens. Es zeigte ursprünglich nämlich die Heilige Hildegard über den drei Wellen, die für die Günz stehen. Die ehrwürdige Dame war aber in den alten Urkunden so nachgedunkelt, dass man sie für einen kleinen Afrikaner hielt und diesem ein Denkmal setzte. Frühes Multikulti sozusagen.
Wie sich das gehört, steht gegenüber der Kirche eine zünftige Wirtschaft, nämlich der Gasthof Goldener Hirsch. Dort speist man übrigens recht gut.
Der Name ist sehr treffend in diesem Wirtshausschild visualisiert.
An der Rückseite der Wirtschaft befindet sich der Hirschsaal, der als Gemeindesaal dient. Dort hängt über dem Eingang ein weiterer Hirsch:
Er hat eine leichte 70er-Jahre-Anmutung. Genau wie dieses Ornament an der Hausmauer daneben.
Von hier aus blickt man auf die Poststraße, in der sich früher einmal tatsächlich die Post befand. Das Gebäude steht noch; es wird aber nur noch als Verteilstelle genutzt, die Schalter sind schon lange geschlossen. Schade, es ist ein so schönes Haus.
Nicht nur die Lampe ist kunstvoll geschmiedet, auch die Fenstergitter zeigen Liebe zum Detail.
Heute muss man schon genau hinsehen, um zu erkennen, dass es hier einmal um Geldgeschäfte ging.
Gleich ums Eck liegt der Alte Markt. Hier befindet sich ein hübscher kleiner Brunnen.
Der Fuhrmann auf dem Brunnen blickt eigentlich ganz wohlgemut in die Gegend. Da sich am Alten Markt mehrere Gaststätten befinden, hatte aber wohl jemand Mitleid mit ihm und hat ihm zwei Schnäpschen spendiert.
Die Obergünzburger haben einen eigenwilligen Deko-Geschmack
Das zeigt sich zum Beispiel am örtlichen Steinmetzbetrieb. Die Stelenreihe am Parkplatz ist sehr geschmackvoll arrangiert.
Abgeschlossen wird sie überraschenderweise mit einem Nilpferdkopf. Wie es den wohl ins Günztal verschlagen hat?
Gleich gegenüber befinden sich ein paar der wenigen Graffiti-Werke im Ort. Ich mag besonders den Kerl mit dem riesigen Kopf und den tiefen Augenringen. Bestimmt ist dieses Werk nach einer langen, durchzechten Nacht entstanden …
Deutlich fröhlicher geht es in der Werkstatt des Schusters zu (ja, in Obergünzburg gibt es noch ein Schuhgeschäft mit einem echten Schuhmachermeister!). Jedenfalls auf dem Bild über dem Eingang.
Viele Obergünzburger gestalten ihre Gärten sehr liebe- und fantasievoll. Hier hat zum Beispiel jemand einen neuen Verwendungszweck für alte Geräte gefunden:
Andere haben eine Schwäche für lustige Vögel:
Ob das Dreier-Rad jemals benutzt wurde? Es ist jedenfalls sehr dekorativ:
Holz vor der Hütte haben in Obergünzburg viele gestapelt, wie es im ganzen Allgäu üblich ist. Aber diesen Stapel finde ich außergewöhnlich – nicht zuletzt, weil er sich offensichtlich um den Stamm herum aufbaut, von dem er geschlagen wurde.
Ich hoffe, ich konnte euch ein wenig von dem vermitteln, was meinen Heimat-Marktflecken so besonders macht.
Und das ist noch nicht alles …
Falls ihr Obergünzburg einmal persönlich besuchen möchtet, empfehle ich euch auf jeden Fall, die Kirche St. Martin zu besichtigen. Auch die ungewöhnliche und ganz modern präsentierte Südseesammlung Obergünzburg ist einen Besuch wert.
Ganz in der Nähe befindet sich die Teufelsküche, eines der 100 schönsten Geotope Bayerns, in dem Naturliebhaber und Familien nach Herzenslust auf Entdeckertour gehen können. Von dort könnt ihr euch aufmachen, um die (wenigen) Überreste von Schloss Liebenthann zu entdecken, das einst den Kemptener Fürstäbten als Jagdschloss diente. Im Osten, unweit der Straße nach Kaufbeuren, liegt im Aschtal der Vogellehrpfad Friesenried, der einen Waldspaziergang mit ebenso hübschen wie lehrreichen Stationen aufpeppt.
Südlich von Obergünzburg liegt übrigens die Gemeinde Günzach, in der die Günz entspringt. An der Günzquelle könnt ihr an warmen Tagen eure Füße im eiskalten Wasser baden.
Ihr seht: Eine Fahrt ins Günztal lohnt sich …
Nachtrag im Mai 2020: Mit diesem Beitrag nehme ich an der Blogparade Urlaub zu Hause – so schön ist meine Heimat von Tanja’s Life in a Box teil und bin schon gespannt auf die anderen Beiträge dazu.
Noch nie gehört von dem Ort, aber er sieht echt hübsch aus. Ich finde es immer wieder klasse, was man vor der eigenen Haustür alles entdecken kann und wie viel Geschichte in so manchem Ort eigentlich steckt. Schön dass du bei meiner Blogparade dabei bist!
Ja, Obergünzburg ist nicht gerade weltberühmt, aber eben besonders liebenswert – schöne Idee, diese Blogparade!
Liebe Barbara,
habe mir eben Deine Obergünzburg Fotos angesehen und bin begeistert! Welch Zufall, auch ich bin Zugereister, seit 1996 in Obergünzburg und bin ebenfalls in den Ort verschossen. Ich schreibe Allgäu Bücher über die zu kurz gekommenen Ecken im Allgäu, bin eher der geschichtlichen Seite auf der Spur und im März kommt mein viertes Allgäu Buch auf den Markt, welches sich mit den verrückten geschichtlichen Besonderheiten auf der Strecke des Crescentia Pilgerweges beschäftigt. Ich gehöre dem Arbeitskreis Heimatkunde an und halte am 30. 01. zur 100 Jahr Feier des Vereines hier im Goldenem Hirsch einen Vortrag über Obergünzburg um 20.00 Uhr. Würde mich freuen Dich kennen zu lernen, vielleicht sehen wir uns ja da. Wäre toll sich auszutauschen!
Hallo Peter, natürlich habe ich von Dir schon gehört bzw. gelesen. Das Buch zum Crescentia-Pilgerweg interessiert mich sehr, und den Vortragstermin habe ich mir schon in den Kalender eingetragen.
[…] so manches, das auf den teils eigenwilligen Geschmack der Obergünzburger deutet, könnt Ihr Euch hier […]
Das Nilpferd ist köstlich! Eigenwilliger Dekogeschmack, kicher. Ein sehr interessanter Spaziergang! Viele Grüße vom Rhein, Eva
Vielen Dank für Deinen netten Kommentar! Irgendwann werde ich doch beim Steinmetz mal nachfragen, was es mit dem Nilpferd auf sich hat …
Hallo Barbara
Tolle Idee. Ich muss daß unbedingt mal bei mir im Ort machen. Man geht immer die gleichen Wege und schaut so selten um die Ecke.
Gruß
hebb
Ja, das stimmt, deswegen hat mich die Idee von Carolin ja so elektrisiert. Aber nicht nur das: Mit dem “Auftrag”, die kleinen Dinge anzusehen, sieht man tatsächlich anders. Den Nilpferdkopf zum Beispiel hatte ich vorher noch nie bewusst wahrgenommen, obwohl ich mindestens einmal in der Woche dran vorbeiradle.
Hallo Barbara!
Ersteinmal herzlichen Dank fürs Mitmachen!
So viele interessante, lustige und sonderbare Kleinigkeiten hast Du da entdeckt! Und wie Du schon schreibst, genau solche Sachen machen einen Ort liebenswert!
Ich habe jetzt durch Deinen Bericht und die tollen Fotos wieder richtig Lust bekommen, in meinem scheinbar langweiligen Wohnort auf Suche zu gehen. Mal sehen, ob ich auch so ein lustiges Graffiti-Männchen finde!
Liebe Grüße
Carolin
Liebe Carolin, ich habe zu danken – ohne Deine Blogparade wäre ich ja gar nicht auf die Idee gekommen! Und das wäre doch schade gewesen 🙂
Toller Artikel, da bekomme ich gleich Lust, einen Spaziergang durch Obergünzburg zu machen 🙂
Liebe Grüße
Sabine