Über die Jahrhunderte war die Erasmuskapelle Kempten in Vergessenheit geraten. Als aber 2008 der Platz neben der Kirche St. Mang in Kempten neu gestaltet werden sollte, stieß man auf einen alten Friedhof und die Reste einer unterirdischen Kapelle. Es dauerte eine Weile, bis man ihrem Geheimnis auf die Spur gekommen war; seit 2010 ist sie der Öffentlichkeit zugänglich.
St. Mang-Kirche Kempten
Aber fangen wir doch vorne an: Die Kirche der Kemptener Reichsstadt, die dem Heiligen Magnus geweiht ist, stammt aus dem 9. Jahrhundert. Nach und nach wurde sie vergrößert und Anfang des 15. Jahrhunderts dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend im gotischen Stil umgebaut.
Ursprünglich war die Kirche im Innenraum reich verziert und bemalt. Aber dann wurden die Kemptener Bürger 1527 „lutherisch“ und folgten eine Zeit lang dem besonders strengen Reformator und Bilderstürmer Ulrich Zwingli. Daraufhin entfernte man die zahlreichen Altäre und Apostelfiguren aus der Kirche und trug über den Malereien eine dicke weiße Putzschicht auf. Die Kirchenbesucher sollten nämlich nicht von all den bunten Bildern vom Gottesdienst abgelenkt werden.
Bei der jüngsten Renovierung hat man an einigen Stellen die Putzschicht durchbrochen und darunter die so genannten Apostelkreuze freigelegt, die zur der Weihe der gotischen Kirche entstanden waren.
Geschichte der Erasmuskapelle Kempten
Der heutige St.-Mang-Platz wurde etwa 800 Jahre lang (bis 1535) als Friedhof genutzt. Wenn der Platz nicht mehr reichte, grub man die alten Gebeine aus und lagerte sie sorgfältig im Untergeschoss einer kleinen Kapelle neben der Kirche. Irgendwann im 14. Jahrhundert muss es dort einen schlimmen Brand gegeben haben, der auch die meisten Knochen zerstörte. Danach baute man die Kapelle samt Untergeschoss wieder auf und weihte sie dem Heiligen Erasmus.
Nach der Reformation wurde sie profanisiert. Wo zuvor die Gebeine der Toten geruht hatten, richtete man eine Trinkstube ein. 1857 wurde der baufällige obere Teil der ehemaligen Kapelle (der zuletzt als Leinwandschau- und Schmalzwaaghaus gedient hatte) abgerissen. Mit den Trümmern wurde das unterirdische Gewölbe verfüllt.
Wenn man heute die beschauliche Stimmung am St.-Mang-Platz mit seinen gotischen Bürgerhäusern genießt, kann man sich kaum vorstellen, dass dort zwischen 2008 und 2010 rund 500 Skelette ausgegraben wurden. Der dunkle Keil hinter den Boules-Spielern ist übrigens der Eingang zum heutigen „Schauraum Erasmuskapelle“.
Die Erasmuskapelle heute
Wer dort hinuntersteigt, taucht in eine andere Welt ein.
Mit Hilfe einer hervorragend gemachten Multivisionsshow können die heutigen Besucher die wechselvolle Geschichte der uralten Kapelle nachvollziehen.
Einige der früheren „Nutzer“ ruhen auch heute noch dort hinter einer Wand und werfen skeptische Blicke auf die neugierigen Nachgeborenen …
Die Erasmuskapelle Kempten kann nur im Rahmen einer Führung besucht werden, und zwar täglich außer mittwochs von 11 bis 17 Uhr, jeweils zur vollen Stunde. Die Ticktes bekommt ihr im Kassenkiosk an der Kirche oder online auf der Website zur Erasmuskapelle. (Stand: März 2024)
Falls ihr euch für weitere Entdeckungen in Kempten interessiert, habe ich weitere lesenswerte Posts für euch: In die römische Vergangenheit der Stadt könnt ihr im Archäologischen Park Cambodunum eintauchen. Die wahrhaft fürstlichen Repräsentationsräume der Kemptener Äbte machen eine Führung durch die Residenz zum Vergnügen. Einen interaktiven und recht vergnüglichen Überblick über die gesamte Stadtgeschichte bekommt ihr im 2019 neu eröffneten Kempten-Museum. Und falls ihr zwischen all den Besichtigungen eine Stärkung braucht, empfehle ich euch meinen Post Gut essen in Kempten.